Texte

Prof. Dr. Claus-Artur Scheier
Katrin Zimmer – Land und Meer. Eitempera auf Leinwand
22. Mai – 19. Juni 1916 in der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh.

 

Eitempera, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Emulsion aus Eigelb, Öl, Wasser und Pigmenten. Pigmente sind „farbgebende“ Substanzen. Farben, hatte Goethe 1810 gelehrt, sind “Taten des Lichts”. Sechs Jahre später hat Schopenhauer eingewandt, alles liege vielmehr im Auge, die Farbe sei eine besondere Modifikation der Netzhaut und nur ein Mittel mehr,  “die Dinge zu unterscheiden und zu erkennen”.Wohl wahr, ohne Licht keine Farben, und wahr auch, daß wir an ihnen ein „Mittel mehr“ haben, die Dinge zu unterscheiden und zu erkennen, z. B. den Verkehrsfluß an der Ampel. Aber wie mit den temperagetränkten Leinwänden von Katrin Zimmer? Was wollen wir da unterscheiden und  erkennen?  St.  Peter-Ording  und  Warnemünde,  Andalusien  und  Rügen?  Rapsfelder,  Schafe, Bauernhäuser? Alles denkbar undinglich, zur Ungegenständlichkeit tendierend wie die Landschaft mit Brücken oder die Stadt am See.

Was  wir  sehen,  hier  und  jetzt,  sind  Farben  und  ihre  Verhältnisse.  Da  gibt  es,  sagt  Cézanne, „keine Linie, keine Modellierung, es gibt nur Kontraste“. Alles ist „eine flottierende Bewegung von Farbflächen,  die  sich  überdecken,  vor-  und  zurücktreten“.  Aber  so  eindringlich  vielleicht  wie  kein andrer moderner Maler hat Cézanne darauf bestanden, daß auch dies Flottieren eine Bewegung des Unterscheidens  und  Erkennens  ist:  „Die  Natur  lesen“  („lesen“  sagt  er)  „heißt  sie  sehen  unter  dem Schleier der Interpretation durch Farbflecken, die nach einem Gesetz der Harmonie einander folgen“.
Erstaunend über die Taten des Lichts hatte Goethe von der „ganzen Natur“ gesprochen, dieser Einheit des Sehens und des Gesehenen, die unauflöslich ist als einfache Farbempfindung – nein: als die Farbe selbst. Die Farbe ist schon die Farbempfindung. Wird sie aufgelöst, bleiben auf der Seite des Subjekts die  Rezeptoren  der  Retina,  auf  der  Seite  des  Objekts  die  Lichtschwingungen  übrig.

Elektromagnetische  Feldstärken  sind  intensive  Größen  und  ihre  periodischen  Änderungen Bewegungsformen, noch keine Qualitäten. Qualität ereignet sich nur als Koinzidenz. Das Sehen ist Koinzidenz, ist Farbe: Wir sind immer schon Welt.
So liest Katrin Zimmer die Natur, interpretiert sie durch Farbflecken, die harmonisch einander folgen. Namentlich die Temperamalerei macht das deutlich. Die Malerin kann nämlich nicht malen, was sie gesehen hat (gesetzt, dies wäre möglich), weil die farbgebenden Pigmente sich während des Malprozesses  verändern.  Sie  treiben  ihr  Spiel  für  sich,  und  die  Malerin  muß  von  Anfang  an interpretieren und wissen, daß sie interpretiert. Das Geheimnis der „ganzen Natur“, wie Cézanne es begriffen hat und wie Katrin Zimmer es ins Werk setzt, ist diese doppelte Reflexion der Interpretation auf sich als auf den „Schleier“ der Welt, der – ein wahrer Schleier der Göttin zu Sais – erst das sein läßt, was er nur zu verschleiern scheint. Darum reflektiert sich die Reflexion in sich aus sich in die Unmittelbarkeit, die einfaches Sehen ist, Sehen als Sehen. Unvergeßlich ein englischer Lyriker des 17. Jahrhunderts, Andrew Marvell: Annihilating all that’s made To a green Thought in a green Shade – Koinzidenz der Schöpfung zu einem grünen Gedanken im schattigen Grün.
Die  Farbe  ist  Gegenwart  ohne  Herkunft.  Getast,  Geschmack,  Geruch,  sie  alle  bezeugen  ihre Herkunft  von  den  Dingen,  den  Medien,  den  Atmosphären, auch  der Ton kommt immer „irgendwo her“. Darum ist er der Träger des Mythos, der Erzählung vom Woher. Die Farbe ist mythoslos, ihre Gegenwart bedarf keiner Erzählung. Stendhal hat gesagt – und das ist ein Satz, der zum Mythos der Moderne  gehört  -,  die  Schönheit  sei  erst  die  Verheißung des Glücks, la promesse du bonheur. Die Schönheit der Farbe ist das Glück selbst. Manchmal ohne weiteres, aber so „ohne weiteres“ ist sie meistens bloß das Bunte. Das Weitere ist ihr eigner Raum, das „Gesetz der Harmonie“, der Sehraum, den  die  Malerin  öffnet.  Die  Verheißung  des  Glücks  verkehrt  sich  darin  immer  zum  Glück  der Verheißung. Wir brauchen nur hinzusehn. Danke, Katrin!

 


Neue Bilder von Katrin Zimmer, Rietberg 4.11.13
Dr. Jenns E. Howoldt

Katrin Zimmers Bilder zeichnen sich durch eine intensive Farbigkeit aus. Farben, die gestrichen oder getupft im Vorgang des Malens gesetzt werden, bilden am Ende eine dichte Oberfläche. Die breit und flüssig aufgetragene Farbe deutet Formen und Gegenstände meist nur an und schafft zugleich pulsierende Flächen, bewegte Farbmuster. Katrin Zimmer gelingt es, den Farben eine äußerst reiche, lebendige Gesamtwirkung zu verleihen, die Leuchtkraft der einzelnen Farbe durch Kontrastierung zu steigern.

Gegenständliches fällt ins Auge, Straßen, Landschaften, Menschen in Cafes sind als Inspirationen der Bilder erkennbar. Katrin Zimmer verarbeitet ihre Eindrücke und Erlebnisse in Bildern, übersetzt das Gesehene in das auf die Fläche beschränkte Bildformat. Die Malerin übersetzt unsere städtische Erfahrungswelt, die Bars, Cafés, Geschäfte, die Menschenansammlungen in ein buntes Ineinander von Farbflecken. Ihre Bilder transformieren die flüchtigen Alltagsszenen in die sinnliche Gegenwärtigkeit und Dauer der Malerei.

KATRIN ZIMMERs Bilder erscheinen als seien sie das Ergebnis spontanen Malens, gewissermaßen ganz aus dem Moment heraus, ohne kompositorische oder konstruktive Überlegungen entstanden. Das stimmt nur zum Teil. Denn der Malprozess ist immer von Überlegungen begleitet, das Auge denkt mit – so ähnlich hat es Cézanne formuliert. Immer wieder werden Bilder ganz oder teilweise übermalt, damit die Farben in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden oder damit ein Gleichgewicht der Farbwerte erreicht wird.

Fuerst 2013 DSCI0705Das wird bei dem Bild „Im Foyer“ – das Motiv der Einladung – ganz besonders deutlich: eigentlich ist bis zu einem gewissen Grade unklar, was man sieht – sind es abstrakte Farbflecken? Ist es Gegenständliches/Figürliches? Ein geometrisches Muster ist offenbar in unmittelbarer Nähe zum Figurenensemble zu sehen. Beide gehen ineinander über. Dass es Katrin Zimmer nicht nur um visuelle Eindrücke der Natur geht, sondern um die Beziehungen von Farbwerten, wird an vielen Bildern deutlich. Zum Beispiel hat Zimmer um das Bild „Bei den Griechen“ einen Rahmen gemalt, der aus Bögen und einem in Braun-Beige farblich abgestuften Schachbrettmuster zusammengesetzt ist. Wieder ist nicht ganz klar, ob dieses Schachbrettmuster auf der unteren Bildkante zum Rahmen oder zum Motiv gehört, denn es setzt sich in blauen Farbtupfern fort. Es sind imaginäre Räume, in denen Katrin Zimmers Figuren agieren. Die Farbe lässt sie entstehen. Auch das Bild „Cafészene“ zeigt wieder Bogen und Schachbrett als geometrische Flächenstrukturen, die den Rahmen für eine alltägliche Szene bilden. Und zuletzt mag das Bild „Auf der Bühne“ noch einmal Zimmers flächigen Bildraum verdeutlichen, in dem sie einen großen Teil des Bildes in ein reines Farb-Muster aufgelöst hat. Es ist diese aus der Farbe entwickelte malerische Strategie, wodurch ihre Bilder den Charakter eines leichten Schwebens zwischen Konkretion und Abstraktion besitzen.

Immer sind Katrin Zimmers Mittel aus der malerischen Geste entwickelt. Wenn man gut hinsieht, bemerkt man aber, dass die Farbflecken und Pinselstriche Teile eines ausgewogenen Bildrhythmus darstellen. Dieser kann zum einen im kontrastreichen Wechsel der Farben, in komplementären Farbakkorden bestehen, zum anderen in einer fein aufeinander abgestimmten Farbstimmung.

Und dann ist noch etwas zu KATRIN ZIMMERs Raum- und Figurenauffassung zu sagen: Ihre Bilder sind grundsätzlich flächige Kompositionen von Figur und Umraum, Gegenstände und Figuren sind in die beschriebene malerische Struktur eingebettet. Sie wachsen mit dem Pinsel modelliert aus der Malerei hervor, sind jedoch an ihren Grenzen leicht unscharf, so dass sie immer auch in ihren Umraum eingebunden bleiben. Das Davor und Dahinter, Figur und Grund sind eng miteinander verbunden, denn sie beruhen auf demselben Flächenwert.

KATRIN ZIMMERs Bilder lassen uns die Wirklichkeit neu sehen. Sie zeigt uns, wie viel Poesie und Schönheit die alltägliche Welt besitzt. Die Malerin verwandelt unsere städtische Erfahrungswelt, die Bars, Cafés, Geschäfte, die Menschenansammlungen in ein buntes Ineinander von Farbflecken. Ihre Bilder übersetzen die flüchtigen Alltagsszenen in die sinnliche Gegenwärtigkeit und Dauer der Malerei. Hier kann ich ein Wort von Cézanne anführen, der gesagt hat: „Es gibt eine malerische Wahrheit der Dinge: alles, was wir sehen, zerstreut sich, flieht. Die Natur ist zwar immer dieselbe, aber von ihrem Erscheinungsbild bleibt nichts. Unsere Kunst muss ihr das Erhabene der Dauer verleihen.“

Bis auf das Wort Erhaben könnte diese Sätze auch Katrin Zimmer unterschreiben – Es ist ein Standpunkt, der heute zwischen ganz gegensätzlichen Auffassungen der Malerei steht, zwischen den Fraktionen der aktuellen surrealistisch verrätselten Historien- oder Popmalerei und einer neuerdings wieder sehr „angesagten“ abstrakten Malerei, die kompromisslos auf das angebliche Unvermögen, überhaupt abbilden zu können, rekurriert.Katrin Zimmer beharrt dagegen auf der Kraft des Malerischen, malt unentwegt, was ihr vor die Augen kommt, ohne äußerliche Kategorien darüber zu stülpen. Daher macht sie es dem Betrachter ganz leicht, denn man benötigt kein Hintergrundwissen, keine Erklärungen, um Ihre Bilder zu verstehen. Ihre Bilder zeigen uns etwas, einen Reichtum von Gesehenem, Erlebten, Gegenständen aus unserem Leben. Und wir sehen dies alles in Form und Farbe verwandelt, als durch die Malerin gestaltete neue Wirklichkeit im Bild. Es ist diese Hingabe an den selbstgesetzten künstlerischen Auftrag, die an ihrer Malerei fasziniert.

Vielleicht ist es genau das, was die Wirkung ihrer Bilder ausmacht: Bilder gegenwärtigen Lebens zu sein, aber ohne alles Anekdotische — Farbkompositionen zu sein, aber ohne den Bildmitteln eine nur noch auf sich selbst bezogenen Raum zu erlauben. Lassen Sie sich also einfach auf diese Farbrhythmen und vielfältige Figurenwelt ein. Nehmen Sie die Ausdrucksmöglichkeiten der Malerin wahr und folgen Sie den Spuren Ihres Malprozesses, dann wird es ein großer Genuss für Sie sein.

 


Katrin Zimmer: Malerei
Von Bernd M. Kraske, Auszug aus der Rede zur Ausstellungseröffnung in Schloss Reinbek, 24. Juli 2011

Katrin Zimmer stammt aus Lübeck, ging nach der Schulzeit nach Braunschweig, um bei Alfred Winter-Rust Malerei zu studieren. Seit Jahren wohnt sie im benachbarten Aumühle und kann mittlerweile auf eine ganze Reihe von Ausstellungen, seien es Einzel- oder auch Gruppenausstellungen zurück blicken. Sie hat Sammler gefunden, ein Glücksfall für eine Künstlerin, die von ihrer Arbeit leben will.

….Es handelt sich dabei oftmals um wenig spektakuläre Alltagsszenen aus unserer Erfahrungswelt, oftmals um reine Erfindungen und Vorstellungen von Dingen und Gegenden, niemals in Wirklichkeit geschaut, doch oftmals erträumt und erwünscht. „So stelle ich mir Wien vor“ heißt beispielsweise solch ein Tableau. Es zeigt einen dicht bevölkerten Innenraum; Menschen an Tischen, ein Kellner in weißem Hemd und mit schwarzer Fliege ist zu erkennen. Um ihn spielt ein bewegtes Netzwerk von Farben, harmonisch aufeinander abgestuft, durch das er sich zu drängen hat, wie durch einen überfüllten Raum von Tisch zu Tisch.

Ähnliches geschieht auf dem „Charlie Chaplin“ betitelten Bild.  Aus einem dichten Farbgewebe aus grün, blau und gelb, Mosaiken gleich, schält sich die Figur des kleinen Mannes mit der Melone und dem Stöckchen. Doch halt, das Stöckchen sehen wir ja gar nicht. Aber wir wissen, dass es zu Chaplin gehört. Katrin Zimmer rechnet mit unserem Wissen und baut auf unsere Seherfahrung. Da es ihr aber auf das Sujet erst in zweiter Linie ankommt, legt sie eine Art Schleier über ihre Bilder, bricht sie die Stärke und Eindeutigkeiten ihrer Motive und setzt an ihre Stelle Erfahrung, Erinnerung, Gefühl für Orte und Dinge.

Es sind Orte der Heiterkeit, des Rausches, der Gelöstheit und des Staunens. Wir erkennen sie als solche, ohne aber konkrete Situationen zu erkennen. Diese sind allenfalls in der Erinnerung des Beschauers an bestimmte Erfahrungen und Begegnungen geknüpft. Katrin Zimmer stößt mit ihrer Malerei somit etwas in uns an, das wir kennen, weil erfahren haben, und dessen diffuses Bild sich vor dem Angesicht ihrer Bildwerke zu klären beginnt. Der so erreichte Schwebezustand ist der zwischen der Welt des Wirklichen und der Welt der Kunst, als einer in Tiefen liegenden, meist verschütteten aber nicht weg zu leugnenden Wahrheit.


Katrin Zimmer – Das Auge als Fenster zur Seele
von Dr. Barbara Aust

Wenn Franz Kafka behauptet, die Augen seien das Fenster zur Seele, so öffnen uns nicht nur die Augen, sondern auch die Bilder der Künstlerin Katrin Zimmer das Fenster zum Ich, zu Stimmungen, Visionen, neuen Sichtweisen. Der Blick offenbart uns eine beschauliche Welt mit farbenfrohen Marktplätzen, stillen Figurengruppen, verwinkelten Gassen oder medi

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terranen Höfen. Dabei geht es Katrin Zimmer nicht um das detailgetreue Abbild der Wirklichkeit, vielmehr um die subjektive Inszenierung des Alltäglichen. Durch die pastose Farbigkeit und Schemenhaftigkeit wirken die in Ocker, Siena, Gelb und Braunabstufungen gemalten Stadtlandschaften wie in ein warmes Licht getaucht, wobei die Formensprache zwischen Figuration und wandeln

den Abstraktionsgraden changiert. Die Eigengesetzlichkeit des Materials, der Einsatz der Ei – Tempera – Technik, verstärkt dabei den Eindruck gefilterter Farbigkeit.

Da das malerische Element bei Katrin Zimmer in der Wahrnehmung des Sinnlichen besteht, wird die visuelle Umsetzung der Wirklichkeit zur Illusion, in der jeder Marktplatz überall und nirgends sein kann und doch an einem realen Ort verankert. Mit ihrem flächigen Stil, der das Thema der Interieurs und Straßenszenen wieder aufnimmt, steht Katrin Zimmer in der Tradition der Brücke Maler und entwickelt darüber hinaus ihren ganz eigenen Stil. Die Unbekümmertheit und Frische der malerischen Darstellung lässt nicht nur auf technische Versiertheit und kompositorische Klarheit der Künstlerin schließen, sondern auf ein Grundvertrauen in authentische Aussagekraft und visionäre Stärke der Bildwerke.